Lago Maggiore
Von meinem Atelier über dem Lago Maggiore blicke ich entweder nach Norden, in die Richtung der Schweiz oder nach Süden, Richtung Mailand. Jede Tages- und Jahreszeit bietet ein anderes Bild. Der See ist die Bühne. Jeden Tag wird ein neues Drama aufgeführt.
Heimkehr
Heimkehr heißt, dorthin zurückzukommen, wo alles begonnen hat. Die Rückkehr zum Anfang bedeutet für mich, in jene Gegend zurückzukehren, die mich geprägt hat: Vor dem Haus meiner Kindheit lag ein See. Über den See hinweg konnte ich die Berge sehen, die den Horizont verstellten. In dieser Gegend hatte ich mich mit mir selbst vertraut gemacht.
Freiräume
In Bildern eröffne ich Räume. Ich kann die geschlossene Oberfläche der weißen Leinwand mit Pinsel und Farbe aufschließen und vor meinem Auge öffnet sich eine hohe und weite Räumlichkeit.
Nemi
Südlich von Rom, in Nemi, befindet sich eine heilige römische Stätte. Sie ist der Göttin Diana gewidmet. Der römische Kaiser Caligula ließ dort im ersten Jahrhundert nach Christus zwei riesige Schiffe bauen und im nahe gelegen See aussetzen. Sie wurden nach seinem Tod versenkt und erst von Mussolini 1944 aus dem See geborgen. Die Überreste der Schiffe wurden in zwei eigens dafür gebauten Hallen ausgestellt. Beim Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Schiffe Opfer eines Brandes.
Theoretische Bilder III
»Du malst ein Bild im Bild im Bild«, sagt die kleine Tochter zum Maler. »Im Bild, im Bild im Bild …«, fährt sie fort. »Hör auf«, sagt der Maler, »Du machst mich noch ganz verrückt«.
Ohne Titel
»Die Bilder müssen weg!« Manch ein Feuereifer ist schon über Bilder hinweggerast. Der Bildersturm wütete in unterschiedlichen Kulturen und zu unterschiedlichen Zeiten. Der Ikonoklasmus ist Folge der zunehmenden Intellektualisierung. (XII Ikonoklasmus, aus Thomas Huber: Der Rote Fries)
extase
Der Eros ist in meinen Bildern der verborgene Anlass, die versteckte Kraft, die meine Bildfindungen antreibt.
Abyss
Hoch ragen die Wände neben uns in die Höhe. Sie sind aus dem Felsen geschnitten, ins felsige Gestein gegraben. Dunkle Ablagerungen wachsen wie Adern durch die helleren Gesteinsschichten. Sie sehen aus wie die Bahnen von Flüssen, die in Urzeiten, hier, tief unter der Erde, ihre Spuren hinterlassen haben. (PDF zur Serie)
Das Ladenschild
»Es muss sich alles ändern, damit alles bleibt, so wie es ist.« Giuseppe Tomasi di Lampedusa
Das Meer
Bilder zu betrachten gleicht einer Fahrt in einem Schiff. Dabei schauen wir über den Bootsrand hinweg ins Wasser unter uns. Unter der Wasseroberfläche betrachten wir eine andere Welt.
Der Rote Fries
Der Fries ist das Thema, das sich durch diese Bilder zieht, ähnlich einer Melodie, die in unterschiedlichen Variationen in einem Musikstück immer wieder durchklingt. Der Fries ist, grundlegend gesehen, die gewählte Tonart, die dem hier aufgeführten Stück seinen eigenen Klang einschreibt.
Vous êtes ici
Hier und Jetzt sind die Bilder, nein es sind keine Abbilder von Orten, die anderswo ihre Wirklichkeit haben, so dass man mit Sehnsucht im Herzen davorsteht und, ach, sich wünscht man wäre dort, an jenem Ort, den sie als Widerschein hier lediglich nur abbilden. Falsch, hier ist der Ort, den die Bilder vorstellen und jetzt die Zeit, da sie sich ereignen … (Wasser Salz und Bilder)
Theoretische Bilder II
Winkelsumme im Realraum: 270°
Winkelsumme im Bildraum: 360°
rette sich, wer kann
Die Bildtiefe ist ein gefährlicher Abgrund. man muss ihr mit Maß begegnen, um nicht darin abzustürzen. Die Bildnerei ist ohne solche Vorsicht ein gefährliches Unterfangen. Man kann an ihr zu Grunde gehen. (Theoretische Bilder)
rauten traurig
In der perspektivischen Darstellung, in den sich öffnenden Räumen im Bild, werden die ursprünglich rechteckigen Raumflächen zu Rauten verzerrt. Au, möchte man schreien, wenn man es erkennt Und dann versprechen sich diese Bildräume so fern und unerreichbar, dass man darüber ganz traurig wird: rauten traurig.
Kabinett der Bilder
Darum sage ich: Das Bild schafft seine Welt. Der Ort, den es entwirft, der Raum den es zeigt, ist ihm dann auch der angemessene, darin zu erscheinen. Das Bild hat seinen Ort im Bild. In seiner eigenen Bedingung wird es offenbar. Im Bild wird das Bild gezeigt. Aus sich selber kehrt es hervor, wie es gezeigt werden soll. Auf welche Art und Weise also es uns vor Augen kommen möchte, sein In-die-Welt-Kommen entwirft dieses Bild. Das Scheinen des Bildes und sein erscheinen sind heute eins. (Rede in der Schule)
Die Bibliothek in Aarau
Im Anfang breitete sich Wasser über die ganze Erde. Die ersten Geschehnisse müssen sich bereits in diesem Gedächtnis, das sich über die ganze Erde spannte, in der gleissenden Oberfläche gespiegelt haben. Niemand soll behaupten, das Wasser hätte das erste Licht vergessen, das seine Oberfläche in ein glitzerndes Meer verwandelte …
Theoretische Bilder I
Die Bildtiefe ist ein gefährlicher Abgrund. Man muss ihr mit Maß begegnen, um nicht darin abzustürzen. Die Bildnerei ist ohne solche Vorsicht ein gefährliches Unterfangen. Man kann an ihr zu Grunde gehen. (rauten traurig)
Alibi
Nein, das Bild können Sie nicht sehen. Auf keinen Fall können Sie das Bild sehen. Warum kann ich Ihr Bild nicht sehen? Sie würden es so schnell anschauen. Ich weiß das, Sie würden es ganz schnell anschauen. Ihr schnelles Schauen würde mich bekümmern. Sie würden das Bild, wofür ich so lange gebraucht habe, sofort sehen. Sie würden mit einem Blick erfassen, wofür ich fast ein Leben gebraucht habe, ja ein Leben. Sie würden mein Leben so weggucken, so ganz schnell weggucken. Nein, ich sage Ihnen, das wäre mir unerträglich. Ich bitte Sie, schauen Sie das Bild nicht an. (Bilder schlafen)
Glockenläuten
Bruder Jakob, Bruder Jakob,
schläfst Du noch, schläfst Du noch?
Hörst Du nicht die Glocken, hörst Du nicht die Glocken?
Ding, Dang, Dong.
Ding, Dang, Dong.
(Französisches Wiegenlied)
Huberville
Ich gehe durch meine Stadt und frage mich selber: Ist es eine Stadt aus Bildern, die sich wie Häuser zeigen oder sind es Häuser, die sich mir als Bilder versprechen? Wo ich wohne, frage ich mich, die Adresse? Es ist ein Bild, wie ein Haus so groß. (Ein Bild wie ein Haus so groß)
Jakobs Traum
Ich war eine Identifikationsfigur. Die Leute mochten mich, das Publikum strömte in die Bilder. Damals waren wir ein erfolgreiches Paar, Du und Ich, Figur und Grund. Kannst Du Dich erinnern. Das war eine schöne Zeit, wir hatten unsere glücklichsten Stunden miteinander. Und heute haben wir nur noch Probleme. Wir wären ein Problem, sagst Du, das Figur-Grund Problem.
Bilder schlafen
Bilder schlafen, sagte er. Bilder hätten immer schon geschlafen, seit er sich erinnere, hätte er Bilder nur schlafend angetroffen, sagte er. Die momentane, die epochale Verfasstheit der Bilder ist der Schlaf, sagte er … darum diese Schlafsaalstimmung, darum diese ermüdende Schlafsaalstimmung in den Museen, diese Schlafesstille in den Räumen der Museen. Ein Museum wäre eine einzige große Schlafstelle, ein Jahrhunderte umfassender großer abgrundtiefer Schlaf, sagte er.
Meine Damen und Herren
Vornehmste Aufgabe der Bilder ist es, gesellschaftlicher Anlass zu sein. Ist es doch zu beobachten, dass immer Leute sich versammeln, wenn Bilder gezeigt werden. Gibt es einen schöneren Grund für ein Bild, als Anlass für das Zusammenkommen vieler Menschen zu werden.
Bildanschauung
Mit Schrecken stelle ich fest, verehrtes Publikum, dass Sie schon alle da sind. Wir sind für die Eröffnung der Ausstellung noch gar nicht vorbereitet. Sie sind zu früh gekommen. Sie haben sich erwartungsvoll vor dem Bild versammelt. Ihre Blicke sind auf das Bild gerichtet. Sie sind so sehr da, als hätte man Ihr Schauen auf die Wände des Ausstellungsraumes gemalt. (Die Ausstellung)
Das Studio
Der Künstler in seinem Atelier, am Ort, wo er seine Bilder findet und schafft, ist auch ein Bild. Vielleicht ist es sein wesentlichstes Bild, das er aber nie malt, sondern mit seinem Leben verwirklicht. (Wie das Kapital in Seife verwandelt wird.)
Die Bank
Sind wir, die Künstler und die Bankiers, uns nicht sehr ähnlich? Wechsler, Geldvermehrer, Goldmacher, schillernde Spekulanten des Scheins. Scharlatane gar? Verführer durch das Versprechen verwunderlicher Vermehrung? Beide malen wir an den Bildern von glücklicherer Zeit. Wir sind die Zauberer des Scheins. Die Schöpfer und Verwalter der verbindlichen Werte unserer Zeit.
Die Post
Erinnert Euch: Allein der Künstler ist Euer Bote. Ahnungsvoller Mittler in wechselnden Kleidern war er zu allen Zeiten. Wenn er vergißt, seid Ihr ohne Euer Kinder Ebenbild verloren. Darum helft ihm. Denn manch einer kennt noch die Namen seiner Ahnen. Ihr sorgt und pflegt den Künstler. Dann wird er sich erinnern und die Bilder schöpfen, damit die verlorenen Sinne zu Euch zurückkehren. Diese Bilder aber verwahren die Stille. Die Bilder hüten Eure Zeichen. Denn die Bilder sind verschwiegen. Und allein ihr Schweigen läßt zu, daß die Rose blüht und die Nacht kommt und wieder der Tag kommt. Verschwiegen retten die Bilder die Welt. Den Bildern verdankt die Welt ihren Fortbestand. Wer aber diese Bilder sieht, ist Zeuge. Und nur der Zeuge erkennt sich in seinen Kindern wieder und erinnert das Bild seiner Ahnen. So ist der Künstler darauf bedacht, daß nichts vom Wasser des Lebens verloren geht.
Am Abend
Das Bild verwahrt den verloren gegangenen Ort. Im Bild verweilt die Sage von der göttlichen Herkunft des Schönen. Bilder scheinen mittlerweile von weit her. (PDF zur Serie, fr)
Lagerbestände
Ist das Werk also getan, ist für seine Aufbewahrung Sorge zu tragen. Ich habe die Bilder alle gut verpackt, in Kartons verwahrt und in einem Bilderlager geordnet. So kehren sie in ihre Verborgenheit zurück. Sorgsam verwahrt und gut kenntlich gemacht durch eine Nummer, bleiben sie geschützt bis zu jener Zeit, da ihr Versprechen endlich eingelöst werden kann.
Die Bibliothek
Dem Auge ist die Sammlung von Texten und Bildern, in eine beträchtliche Zahl von Büchern gebunden, zugedacht. In der Bibliothek zusammengetragen und geordnet, sind sie für das Auge die Erinnerung seiner Begabung, fördern das Vertrauen in seine Gabe des Schauens. Die Bibliothek bereitet dem Umgang mit Bildern einen Ort. Sie ist ein Refugium für Bilder.
Opus
Einer, der Bilder malt, denkt nicht. Er misst, er zählt, er wägt. Maß, Zahl und Gewicht sind die Insignien des melancholischen Menschen. Maler haben ein saturnisches Gemüt. (Am Abend)
Die Urgeschichte der Bilder
Wenn das Bild wie Wasser wär’, verbindliche Vorstellung, worunter sich alle Bilder vereinen … Die Wasserfläche als gleichnishafter Ort, wo eine Bedingung beginnt und eine andere aufhört zu sein. Grenze zwischen Wasser und Luft, Berührungsebene zweier Reiche. Dort sehe ich die Bilder. Denn sie sind ein Dazwischen. An ihnen berühren sich zwei Medien. So wie es geschieht zwischen Luft und Wasser in den Seen und Meeren, groß und weit, wie die lange Zeit, die verging, seit Geschöpfe aus dem Wasser heraus, diese Grenze durchbrechend, an Land gingen. Die Wasserfläche ist das große Bild jenes Ortes uralter Verwandlung.
Wasser, Salz und Bilder
Was am Abbild geschieht, soll sich am Urbild vollziehen. (Der Analogiezauber)
Ein öffentliches Bad für Münster
Bilder sehen heißt ins Wasser tauchen, in die Urflut steigen, die glitzernde, lichtvergoldete Oberfläche des Wasser durchgleiten, schauend erreichen, was die Bilder im Schein uns bisher nur versprachen. Der Sinn der Bilder ist erkannt, wiederum in einem Bild, in einem ewigen: Vom Bade.
Das Hochzeitsfest
Wenn ein Bild gezeigt wird, kommen viele Leute zusammen. Das Bild wird zu einem gesellschaftlichen Anlass. Es bleibt aber nicht lediglich Grund dieses Zusammenkommens, sondern gibt den Herbeigekommenen eine Form, wie sie sich begegnen sollen. Gewiss, ein Bild ist eine Komposition. Komponiert aber meint es allein das Geflecht, das jene bilden, die gekommen sind, das Bild zu betrachten.
Der Besuch im Atelier
Man mag mir beipflichten, dass die Gepflogenheit des Besuches einem wahrhaft unverstellten Umgang mit Bildern näherkommt als viele seelenlose, ereignisarme Begegnungen an traurigen Kunstorten.
Rede zur Schöpfung
Um jedes Getane sollte die Überschwänglichkeit sein, ein lautes, mitteilungsbedürftiges: »Schaut her, ich habe es gemacht, freut Euch mit mir, wie schön es geworden ist!«
Rede über die Sintflut
So tritt der Redner vor das Publikum und, umgeben von all dem Beredten, spricht es aus ihm.